(für zitty) Verlassene, geheimnisumwitterte Orte gibt es viele in Brandenburg, doch kaum eine Ruine ist so mit Legenden aufgeladen wie die ehemaligen Lungenheilstätten in Beelitz. Vom Baumkronenpfad lässt sie sich aus luftiger Höhe erkundigen.
Ein Spaziergang auf dem Baumkronenpfad Beelitz ist erst einmal eine Herausforderung für alle, die nicht ganz schwindelfrei sind. Immerhin bewegt man sich 20 Meter über den Erdboden, zwar auf stabiler Stahl-Holzkonstruktion, die aber eben auch minimal schwingt, ähnlich wie eine Hängebrücke. Der Ausblick entschädigt allerdings auch Höhenkranke. Ein Meer aus Baumwipfeln, das hellgrün leuchtet, fern am Horizont erkennt man schemenhaft eine Hügelkette.
Aber die Natur ist hier zweitrangig, viel mehr interessiert die Besucher die Ruine, an der man in luftiger Höhe entlangspaziert: Es ist die Frauenklinik der Beelitzer Heilstätten. Sie gehört zu dem weitläufigen Sanatoriumskomplex für Lungenkranke, das vor über hundert Jahren von der Berliner Landesversicherungsanstalt errichtet wurde. Nach 1945 übernahmen die Russen das Areal und nutzen die Gebäude als Zentrallazarett der Sowjetarmee. Der Baumkronenpfad erhebt sich, wenn man so will, über historischen Boden.
Morbide Schönheit
Aus luftiger Höhe hat man direkt Einblick in die leeren Zimmer der Frauenklinik. 1908 war hier Platz für 300 Tuberkulose-Patientinnen. Heute bedeckt Schutt den Boden, Graffitikünstler haben ein riesengroßes Auge an eine Wand gesprüht, darüber hängt quer die Wurzel eines umgestürzten Baumes. Selbst im hellen Sonnenlicht sieht das unheimlich aus. „Da fiel wohl eine Bombe rein, und die Russen hatten keine Lust irgendwas aufzubauen“, mutmaßt ein Besucher. „Hat sich hier nicht jemand vom Dach gestürzt?“ fragt seine Begleiterin.
Verlassene, geheimnisumwitterte Orte gibt es viele in Brandenburg, doch kaum eine Ruine ist so mit Legenden aufgeladen wie die ehemaligen Lungenheilstätten in Beelitz. Spuken soll es hier, nachts hört man angeblich die Schreie der Patienten aus der Chirurgie, die seinerzeit ohne Betäubung operiert wurden. Befeuert werden die Mythen von der morbiden Schönheit der Anlage, den prächtigen Jugendstilbauten, die von Schlingpflanzen und Bäumen umwuchert sind und die als Kulisse zahlreicher Film- und Fernsehproduktion dienten (unter anderen wurden hier Teile von Roman Polanskis „Der Pianist“ gedreht)
Aber tatsächlich war die Anlage auch Schauplatz grausamer Verbrechen. Kurz nach der Wende erlangte der Ort traurige Berühmtheit durch einen Serienmörder, der sogenannten „Bestie von Beelitz“. Später, im Jahr 2008 erwürgte ein Fotograf eine junge Frau während Sado-Maso-Spielen – ob aus Versehen oder mit Vorsatz, ist bis heute nicht geklärt.
Jahrelang war das Gelände Anziehungspunkt von abenteuerlustigen Jugendlichen, Gruselfans und selbsternannten Geisterjägern. Die konnten auch deshalb zwischen den halbeverfallenen Gebäuden herumspazieren, fotografieren und Partys feiern, „weil das Areal nur unzureichend gesichert war“, sagt Jana Birnbaum, Sprecherin der Polizeidirektion West. Denn nach dem Abzug der Russen verlief die Entwicklung schleppend. Ein mit ehrgeizigen Plänen angetretener Immobilienentwickler musste im Jahr 2000 Insolvenz anmelden. Erst mit dem Investor Georg Hoffmann, der 2007 den Wald und später die zugehörigen Gebäude auf einem Quadranten des Geländes erwarb, zog neue Hoffnung ein.
Anschläge verzögerten Bauarbeiten
Ursprünglich sollte sein Baumwipfelpfad, in dem eine Investitionssumme von rund 7 Millionen steckt, bereits in Juni dieses Jahres eröffnen. Doch das Vorhaben geriet ins Stocken, weil diverse Anschläge die Bauarbeiten verzögerten. Höhepunkt war die Entwendung eines Baggers. „Jugendliche haben ihn kurzgeschlossen, sind damit in das Eingangsportal der Chirurgie gefahren und haben es demoliert“, sagt Polizeisprecherin Jana Birnbaum. Die Ermittlung der Täter sei allerdings leicht gefallen, weil sie „sich selbst gefilmt und die Tat auf YouTube gestellt haben.“
Ganz offensichtlich war die Randale eher ein Dumme-Jungen-Streich als ein Anschlag mit politischem Hintergrund, wie einige vermuteten. Inzwischen sichert ein privater Wachschutz das Areal, die Polizei greift konsequent mit Strafanzeigen durch. Ob das riesige Gelände jedoch wirklich gesichert werden kann, ist fraglich.
Die Investoren selbst wollen den Vandalismus nicht mehr thematisieren. „Wir freuen uns, dass der Baumwipfelpfad endlich eröffnet ist und schauen nach vorne“, sagt Beate Hoffmann, Geschäftsführerin der Heilstättenpark Projektentwicklungs-GmbH. In den ersten Wochenenden hätte es einen Besucheransturm gegeben. „Viele kommen, weil sie selber Zeitzeugen sind und hier einige Zeit verbracht haben. Wir hatten erst letzte Woche eine 91-jährige Dame hier, die als junge Frau mit ihrer Tochter auf dem Gelände die letzten Kriegstage verbracht hat.“ Geplant sei jetzt, solche Geschichten zu dokumentieren. Bald solle es auch einen ausführlichen Panorama-Flyer mit Bildern und Infos zu den Gebäuden geben.
Erschienen in der zitty im Herbst 2015
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