Wenn der Winterjasmin blüht

(Für Tagesspiegel) Viele denken, Parks und Gärten sind in der kalten Jahreszeit trist und langweilig. Ein Irrtum

Berlin ist eine grüne Stadt. Parkanlagen, öffentliche Gärten und Schlossanlagen ziehen im Sommer Millionen Menschen an. Aber ab November wird es ruhiger. Ein Garten in Winterruhe erscheint vielen wenig attraktiv. Denn was, bitteschön, hat eine Grünanlage ohne Grün in der grauen Jahreszeit zu bieten – außer kahlen Ästen und Zweigen?

Wer so denkt, verpasst einiges – und hat zudem wenig Ahnung von Landschaftsarchitektur. Das würde Gerd Schurig so nie sagen, dazu ist er viel zu höflich. Der Kustos der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg (SPSG) schwärmt lieber von den gemäßigten Breiten, in denen wir leben und die mit dem Wechsel zwischen den Jahreszeiten eine Fülle an kontrastreichen Eindrücken bieten. „Die Herrschaften, die unsere berühmten Gärten und Parks angelegt haben, waren klug genug, diese Kontraste in ihre Planung miteinzubeziehen“, sagt Schurig.

Sie haben etwa in einer Gruppe von Laubbäumen eine Fichte oder Kiefer gesetzt, die im Sommer wenig zur Geltung kommt, im Winter aber mit ihren immergrünen Nadelkleid und der schlanken Silhouette den Blick auf sich zieht. Oder an neuralgischen Punkten Bäume mit charakteristischem Aussehen gepflanzt: Vielleicht eine Platane, die regelmäßig ihre Borke abwerfen wie Schlangen ihre alte Haut. Oder Sträucher, die ausschließlich in der kalten Jahreszeit blühen, so wie den Winterjasmin, der im Sommer völlig unauffällig zwischen anderen Ziergehölzen steht, aber im Dezember seine primelgelben Blüten öffnet.

„Gärten und Landschaftsparks sind Gesamtkunstwerke, die in Raum und Zeit existieren wie räumliche Gemälde“, sagt Schurig. „Nur wer einen Garten im Jahreslauf betrachtet, erfährt seine ganze Schönheit.“ Manche Szenerien entfalten erst bei frostigen Temperaturen ihre volle Wirkung, etwa eine mit Raureif bedeckte Trauerweide, die sich im Eis spiegelt. Und entgegen landläufiger Annahmen gibt es durchaus Pflanzen, die auch im Winter etwas zu bieten haben. Weil sie noch sehr spät Früchte tragen, wie Stechpalme, Schlehe oder Sanddorn oder schon sehr früh blühen wie die Zaubernuss.

Schurig kann über viel Parkgestaltung und wie sie sich im Laufe der Jahrhunderte änderte, erzählen. Er ist seit 30 Jahren Gartendenkmalpfleger für die wohl berühmteste Parklandschaft Deutschlands, die vom Wannsee bis nach Werder reicht. Wenn er aus seinem Büro schaut, fällt sein Blick auf zwei Kanäle und eine Allee, die direkt auf die terrassierten Weinberge von Schloss Sanssouci zuläuft. „Die Renaissance- und Barockfürsten ließen ihre Gärten geometrisch anlegen, mit von Hecken umsäumten Wegen, die sowohl den Blick als auch die Schritte der Besucher immer in eine Richtung führten – ins Zentrum der Macht, zum Schloss“, sagt er. Die englischen Landschaftsparks hingegen, deren Stil sich im ausgehenden 18. Jahrhundert entwickelte, lösten diese strenge Symmetrie auf. In ihnen führen geschlängelte Wege und Wasserläufe durch idyllische Rasenflächen und Baumgruppen einer Kunstlandschaft.
Viele Parks in und um Berlin und Potsdam haben beide Elemente, sind sozusagen Gärten im gemischten Stil, sagt Schurig. Sie tragen im Wesentlichen die Handschrift von zwei großen Gartenkünstlern: Peter Joseph Lenné und Gustav Meyer, beide Vertreter der klassisch-englischen Landschaftsgestaltung, und Wegbereiter für eine neue Art von Park, der nicht nur der höfischen Gesellschaft, sondern auch allen anderen Schichten offen stand.

Lenné prägte als General-Gartendirektor in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts die Gartenkunst Preußens. Sein von ihm erneuerter Park von Potsdam-Sanssouci ist heute Unesco-Welterbe, auch den Berliner Tiergarten gestaltete er von einem Schmuckgarten in einen modernen Volkspark um. Auf Gustav Meyer, seinen Schüler, gehen die ersten kommunalen Grünanlagen Berlins zurück: Der Volkspark Friedrichshain, der Humboldthain, der Treptower Park.

Diese Parks wirken naturbelassen. Aber der Schein trügt. Gartenkünstler wie Lenné haben nichts dem Zufall überlassen. Jedes Element im Park ist Teil einer sorgfältig geplanten Inszenierung, jeder Baum, jede Pflanze, jede Fläche genau geplant. Sichtachsen verbinden die einzelnen Teile optisch miteinander. Wie ausgeklügelt dieses System ist, kann man sich auf einen historischen Gartenplan von Sanssouci anschauen. Gerd Schurig hat sich irgendwann mal die Mühe gemacht, alle Sichtachsen einzuzeichnen. Herausgekommen ist ein Netz bunter Fäden, das sich kreuz und quer durch die Parklandschaft zieht. Der Kustos ist immer noch beeindruckt, wie viele es sind. Immer wieder aufs Neue wird der Blick gezielt gelenkt, von einer Attraktion zur nächsten. „Von dort aus“, er zeigt mit dem Finger auf einen Hügel, „fällt der Blick auf eine Baumgruppe, durch die eine Statue schimmert, hinter der die Fontäne eines Brunnen aufsteigt.“ Bis heute versuchen die Gärtner das authentische Erscheinungsbild, soweit es geht, zu erhalten.

Im Winter lassen sich die berühmten Sichtachsen besonders genießen, denn dann kann der Blick ungehindert von Blättern und Laub in die Ferne schweifen. Die längsten, sagt Schurig, reichen kilometerweit. Beispielsweise vom Neuen Garten über den Heiligen See bis nach Babelsberg oder zur Pfaueninsel. Wer sie entdecken will, hält sich am besten an die kleinen verschlungenen Wege. Im Gegensatz zu den großen Alleen, die zwei Ziele schnell verbinden, führen sie von einem Aussichtspunkt zum nächsten: Das kann eine Bank ein, eine Brücke oder eine Wegekreuzung. „Bleiben Sie stehen und schauen Sie sich um“, rät Schurig. „Sie werden belohnt.“

Erschienen im Magazin Tagesspiegel Winterglück 2019

Photo by Andre Benz on Unsplash

 

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