(Für Kizz) Mehrsprachigkeit: Wie können Eltern ihre Kinder unterstützen, mehrsprachig aufzuwachsen und hilft ein bilingualer Kindergarten wirklich? Interview mit Dr. Pauline Schröter, Psychologin und Sprachwissenschaftlerin am Institut zur Qualitätsentwicklung im Bildungswesen (IQB) der Humboldt-Universität zu Berlin.
Es heißt, kleine Kinder lernen Sprachen schneller und besser als Erwachsene. Stimmt das?
Ja und nein. Es hat viele Vorteile, wenn man Sprachen früh, also im Vorschulalter lernt, weil das Lernen implizit stattfindet. Die Kinder lernen Sprache spielerisch, quasi nebenbei. Aber: Wenn man älter ist und das Prinzip von Sprache verstanden hat, sich also gut in Satzbau und Grammatik auskennt, kann man das in einer anderen Sprache leichter umsetzen. Die Nachteile des späteren Lernens werden dann mit metasprachlichem Wissen ausgeglichen.
Macht Englisch in der Kita Sinn?
Wenn ein deutschsprachiges Kind eine Kita besucht, in der konsequent in allen Alltagssituationen eine Fremdsprache gesprochen wird, dann lernt es diese Sprache relativ schnell. Nach dem sogenannten Immersionsmodell, bei dem Kinder in eine fremde Sprache „eintauchen“, arbeiten ja auch viele bilinguale Kitas. Zwei oder drei Englischstunden pro Woche, in der man englische Lieder singt und ein paar Wörter lernt, führen nicht dazu, dass Kinder mehrsprachig werden.
Was ist anders bei Kindern, die in zwei Sprachen sprechen lernen?
Kinder, die zweisprachig aufwachsen, haben erst einmal einen kleineren Wortschatz in beiden Sprachen. Das heißt, sie hinken, was den deutschen Wortschatz anbelangt, etwas hinterher. Das gleicht sich aber spätestens nach der Grundschulzeit wieder aus. Oft haben sie zudem domänenspezifische Sprachkenntnisse: Mit dem deutschen Vater sind sie vielleicht eher in der Küche zusammen, dann lernen sie alle Wörter rund ums Kochen und Backen auf Deutsch. Die spanischsprachige Mutter bringt sie immer in die Kita, und so können die Kinder Begriffe wie Auto, Ampel, Fahrrad erst einmal nur auf Spanisch. Zusammengenommen ist der Wortschatz genauso groß wie bei einsprachigen Kindern.
Ist das ein Nachteil?
Es kann sich darauf auswirken, wie Kinder lesen und schreiben lernen. Wenn ich Wörter schon kenne, dann kann ich mir auch besser merken, wie sie geschrieben werden. Aber ob das zum Nachteil führt, hängt auch von anderen Faktoren ab.
Welche sind das?
Kinder, deren Eltern beispielsweise keinen Schulabschluss haben, denen nie vorgelesen wird, die in Haushalten aufwachsen, in denen es nur wenig Anregungen gibt, die tun sich auch beim Lesen- und Schreibenlernen schwer – egal ob sie mehrsprachig oder einsprachig aufwachsen. Der sozioökonomische Status hat auf den Schriftspracherwerb viel mehr Einfluss als der Faktor Mehrsprachigkeit.
Was hindert Kinder daran, eine Zweitsprache gut zu lernen?
Aus der Fremdsprachendidaktik weiß man, dass man Sprachen nur dann lernt, wenn man sie anwendet. Wenn Kinder zum Beispiel Deutsch lernen sollen und den größten Teil ihres Tages damit verbringen, eine andere Sprache zu sprechen, dann dauert das natürlich länger.
Ist es ein Problem, wenn sie mit anderen Kindern spielen, die diese Sprache selbst nur gebrochen oder schlecht sprechen?
Kinder orientieren sich an den Sprachvorbildern in ihrer Umgebung. Kinder aus Familien, die zu Hause gar kein Deutsch sprechen, müssen daher in Kontakt mit der deutschen Sprache kommen, deswegen wird ja auch ein früher Kitabesuch empfohlen. Aus wissenschaftlicher Sicht ist es nicht unbedingt ein Problem, wenn man sich mit jemandem unterhält, der die Sprache nicht perfekt spricht. Es schult sogar ein bisschen das Verständnis für Fehler. Allerdings nur, wenn man schon ein gewisses Maß an Sprachkompetenz besitzt. Ansonsten besteht die Gefahr, dass man das Gegenüber aufgrund der Fehler kaum versteht beziehungsweise die Fehler sogar übernimmt.
Das Interview ist Teil eines größeren Beitrags zur Mehrsprachigkeit, den man in der Online-Ausgabe von Kizz (Ausgabe 1/2021) nachlesen kann.
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